Alte Weisheiten erleben eine neue Popularität: eine Mischung aus Populärpsychologie, Klassikern (vor allem) der Stoischen Philosophie, 'Lifehacking', Business- und Selbsthilfeliteratur und anekdotischen eigenen Erfahrungen erobert das Internet. Jede Schattierung ist zu finden: Von mehr Effizienz im Leben von Top-Managern bis zum Simple Living mit esoterisch-spirituellem Touch. Ich habe nun kein Klischee ausgelassen - was bleibt übrig als 'eigene' Philosophie, die man nicht empfindet als bunte Kollage von 'habe ich irgendwo gelesen'?
Irgendwann hatte ich die Idee, klassische Philosophie strukturiert zu lernen - eventuell sogar zu studieren, als Gegengewicht zur technischen Ausbildung. Davon bin ich abgekommen (und mein 'port-graduate' Studium war wieder etwas Technisches); rückblickend beschreibe ich meine Entwicklung so:
- Als Teenager ein Anhänger des klassischen Bildungsideals: Goethes Faust, Pascales Gedanken, Viktor Frankl, Erich Fromm und Essays von Einstein auf dem Nachtkästchen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Interesse mangels Lebenserfahrung eher theoretisch-intellektuell war.
- Als angehende Physikerin hatte ich die umfassende Bildung vorübergehend auf Eis gelegt. Richard Feynman schreibt in seinen Physics Lectures, die Physik sei die einzige Naturwissenschaft, bei der es auf den historischen Kontext nicht so ankomme und auf eine jahrhundertelange Entwicklung.
- Einstieg in das Berufsleben: Ohne den Kontext zur 'Philosophie' zu sehen, entwickelte ich ein Faible für 'subversive Querdenker Business-Literatur' - am besten demonstriert an The Cluetrain Manifesto. Es war die Zeit (kurz vor und kurz nach) der dotcom-Krise.
- Mit zunehmender Berufserfahrung lerne ich Douglas Coupland schätzen: Generation X, Microserfs, 'Popliteratur' drücken den Dejavu-Charakter seltsamer Ereignisse im Alltag aus. Lebe ich in einer Simulation oder in einem Dilbert-Cartoon? Hin und wieder nehme ich echte Philosophiebücher zur Hand - aber mir fehlt ein Autor, der den ambivalenten Charakter der Arbeit zum zentralen Thema macht. Klassische Philosophie doch als Beschäftigung einer speziellen Schicht der Gesellschaft?
- Ich entwickle mich nicht weiter - mehrfaches Studium von aus meiner Sicht für unsere Epoche klassischer Literatur wie Randy Komisar's The Monk and the Riddle - The Art of Creating a Life While Making a Living. Der Schlüssel liegt letztendlich darum, 'Philosophie' zu leben (dann braucht man auch nicht so viele Bücher zu lesen).
- Auf der anderen Seite des Wurmlochs bin ich vielleicht heute eine Art epikureischer Gartenphilosoph (ohne die entsprechende Literatur zu kennen): Leben im Einklang mit der Natur - so abgegriffen das klingt, kleine schrittweise Verbesserungen, Verringerung von Abhängigkeiten, 'Grenzen des Wachstums', Leben und Arbeiten als ineinander verwobenen Tätigkeiten - mit dem Ziel, einen kleinen Teil der Umgebung möglichst sinnvoll zu beeinflussen, Fokus auf das Unmittelbare anstelle des Nachdenkens über (Welt-)Politik und die großen Zusammenhänge. Wichtiges Thema: Technologie als Mittel zu genau diesem Zweck - oder zur Generierung neuer Abhängigkeiten. Es ist schwierig, einen Begriff zu finden, der nicht eine Bandbreite von Assoziationen weckt, die auch ich nicht alle 100%ig unterschreiben kann.
Persönliche Website von Elke Stangl, Zagersdorf, Österreich, c/o punktwissen.
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